Rund sechs Monate ist es jetzt her. Anfang Dezember war es, als ich relativ spontan meinen leidenschaftlich geliebten Bus verkaufte. Die Temperaturen waren schon recht frisch, doch gefühlt noch nicht dramatisch kalt. Wir befanden uns bereits im zweiten (oder dritten, wer weiß das schon?!) Insellockdown. Für fast alle ohne ersten oder zweiten Wohnsitz war die Insel nur ein eher unerreichbares Ziel auf der Karte. Man fühlte sich etwas abgeschieden von der Außenwelt inmitten der Nordsee und dennoch sehr dankbar von dieser wunderschönen Natur umgeben zu sein. Und dann, ich ahnte es bereits, kam dieser Moment des Loslassens. Goodbye „Hank“, fünf Jahre waren rum, ein paar Festivals und andere kleine Touren haben wir gemeinsam erlebt. Weit Außenstehende schütteln vermutlich mit dem Kopf, vollkommen verständlich. Mir hingegen fiel es nicht ganz so leicht diese Ära zu beenden, mich zu lösen. Plötzlich autolos zu sein. „Das nächste kommt bestimmt schneller, als du denkst“, hörte ich es von hier und dort. „Vielleicht“ dachte ich mir und begann einen Selbstversuch.
Autolos
Ein sechsmonatiger Selbstversuch einer Sylterin.
Komme ich ohne eigenes Auto auf Sylt klar?
Der Start für das Autolos-Projekt, von dem ich nicht wusste, dass ich es überhaupt mal als Projekt titulieren würde, war also Dezember. Der Winter auf Sylt kann sehr kalt, nass und stürmisch sein. Man möchte meist ungern die eigenen vier Wände verlassen, morgens und abends fließen oft unbemerkt ineinander, jeder sonnige Moment sollte so intensiv wie möglich aufgesaugt werden. Ich tue das am liebsten auf dem Wasser beim Wellenreiten an der Sylter Westküste. Mit dem Auto ist der Spot nur wenige Minuten von meinem Zuhause entfernt, per Fahrrad dauert es gerne doppelt so lang, je nachdem wie der Wind steht. Von Mal zu Mal fühlte es sich normaler an im sechs Millimeter Anzug und mit Surfbrett zum Strand zu radeln. Direkt hinter der Düne entlang Richtung Norden. Ab und zu zog ich mich vor Ort um, direkt am Strand und mit Blick aufs Meer. Manchmal wurde ich zu meiner großen Freude von Freunden eingesammelt und mit Brett und Gedöns mitgenommen, was sich für mich fast schon wie ein Sechser im Lotto anfühlte. Ich spürte eine neue Form der Abhängigkeit aber auch Dankbarkeit. Denn seitdem ich meinen Führerschein in der Tasche hatte besaß ich immer ein Auto. Ich war die Mobile, Unabhängige, Freie, Fahrende. Aus meiner heutigen Sicht großer Luxus und ein absolutes Privileg. Aber wieso sollte ich persönlich, ohne Kinder und ähnliche große Verpflichtungen, nicht auch ohne Auto leben können?
Inselweit gut vernetzt
Surfen mit Fahrrad ging also. Einkaufen funktionierte Dank eines Rucksacks ebenfalls problemlos. Was sich neu entwickelte war eine richtige Bewegungslust, die gestillt werden wollte. Ich fand plötzlich sogar echtes Gefallen am Radeln. Ich entdeckte Strecken, Wege, die ich als Inselkind noch nicht kannte oder schon lange nicht mehr auf dem Schirm hatte. Fernab von allem, umgeben von der Natur. Richtung Wenningstedt und Kampen bis nach List. An manchen Tagen musste ich meine Hose mehrmals wechseln, der Regen wollte nicht aufhören. Eine richtige Wohltat und förmlich lebensverändernde Maßnahme war hinsichtlich der sinkenden Temperaturen der Lammfellschoner für den Sattel, den ich auf dem Westerländer Wochenmarkt kaufte. Gemeinsam mit meiner ganz hinten im Schrank wiedergefundenen Snowboardhose war ich als autoloser Freigeist also outfittechnisch gerüstet für winterliche Kälte und Schnee. Dieser kam dann auch und sorgte dafür, dass mein Fahrrad tagelang im Schuppen ruhen durfte. Doch dann kam die Belohnung: Es ging mit Rückenwind (!) und frontal wärmenden Sonnenstrahlen bis in den Inselsüden. Ich bin das erste Mal in meinem Leben auf dieser Strecke an verschneiten Dünen- und Heidelandschaften vorbeigeradelt, genoss mit allen Sinnen die frische Luft, meine Umgebung und spürte wieder tiefste Dankbarkeit. Nach Hause ging es dann, erneut eine Premiere für mich, mit der Sylter Verkehrsgesellschaft inklusive Gondelfeeling. Innerhalb von dreißig Minuten hockte ich wieder in meiner Bude und realisierte, wie überschaubar die Insel eigentlich ist, wie schnell man doch das Ziel erreichen kann. Ob mit dem Bus, Taxi oder Zug. Selbst zu Fuß, wenn es physisch möglich ist, sind manche Wege ruckizucki zu bewältigen.
Ob ich mir wieder ein Auto zulegen möchte? Sicherlich. Wann? Das könnte schon nächste Woche sein, vielleicht aber auch erst in ein paar Monaten. Ob ich auf der Insel ohne Auto klarkomme? Die meiste Zeit ja. Es gibt Momente, da vermisse ich es sehr. Aber solange ich noch keins habe, möchte ich die Zeit genießen. Weiterhin Wege und Ecken entdecken, die ich vielleicht noch nicht kenne, frische Blumen vorne im Körbchen transportieren, Kaffee an der Kante trinken, mich vom Wind ärgern und treiben lassen und das Draußen genießen.