© Ralf Meyer l Sylt Marketing

Natürlich Sylt

Die Insel bei Nacht

Der Zauber der 
Dunkelheit

Die Winternächte auf Sylt haben große Kraft und wer sie für sich entdeckt, der liebt ihren Zauber. Die Sylter Sturmwoche (18. bis 26. Januar) bietet reichlich Möglichkeit, die langen Inselnächte in all ihren Facetten zu erleben. Für die Nachtausgabe der „Natürlich Sylt“ haben wir Menschen porträtiert, die arbeiten, wenn alles schläft, die Polarlichter fotografieren, Gäste betüdeln, Brot backen und Menschen in Seenot retten. Natürlich haben wir auch einen Blick darauf riskiert, wie es um das Sylter Nachtleben steht. Die große Konstante in der Sylter Dunkelheit sind die fünf Leuchttürme, die wir vorstellen und denen wir die Interviews, Filme und Reportagen zuordnen.

© Holm Löffler
Im Lichtkegel der Lister Leuchttürme 
© Ralf Meyer
  • Der Weiße der Twin-Towers vom Ellenbogen ist gleichzeitig das nördlichste Gebäude Deutschlands. 

List-West

Klein, aber oho

Der kleine Weiße - der erste Leuchtturm, wenn man die Maut-Station am Lister Ellenbogen passiert - bedient perfekt die Idylle. Er darf einen Superlativ für sich in Anspruch nehmen: Der 11,3 Meter hohe Turm mit einer Feuerhöhe von 19 Metern, ist das nördlichste Gebäude Deutschlands. Und es kommen noch zwei obendrauf, die der West-Turm mit seinem Bruder weiter östlich teilt: Die beiden Lister Leuchttürme sind die ältesten an der Westküste und die ersten in Deutschland aus gusseisernen, verschraubten Platten.

Die Lister Leuchtfeuer wurden 1857 im Auftrag des dänischen Königs angefertigt, der damals auf Sylt der „Bestimmer“ war. Der Bau war die Reaktion Dänemarks auf die Vielzahl gestrandeter Handels-Schiffe, die die Strandvögte im Norden Sylts Mitte des 19. Jahrhunderts zu melden hatten. Denn die Sylter Seewege, nicht zuletzt das Lister Tief, haben es bis heute in sich.

In Dienst gestellt wurden die Twins 1858. Seit 1977 sind die Orientierungsfeuer - wenig romantisch - ferngesteuert. Noch ein kleiner Stimmungsdowner: Sie können nicht besichtigt werden. Zum schwachen Trost noch ein paar Angaben für Menschen mit Technikfaible: Die Optik besteht aus einer geschliffenen Gürtellinse mit einer Brennweite von 280 mm bei einer Höhe von 85 cm. Für das Licht sorgen je Turm zwei Halogen-Metalldampf-Lampen - eine verrichtet den nächtlichen Dienst, die andere steht als Reserve für alle Eventualitäten zur Verfügung.

Das Ostfeuer

Postkartenidylle
deluxe

13 Meter höher auf der Düne thront das Ostfeuer. Genau 2.700 Meter Dünenlandschaft liegt zwischen den beiden. Auch dieser Turm war zunächst schlicht weiß, bekam dann aber zur besseren Kennung seine rote Bauchbinde. Auch er darf nur von Fern bewundert werden. Vor allem aus Naturschutzgründen. Und weil zu seinen Füßen ein recht trutziges und sehr privates Reetdachanwesen (siehe auch Kolumne) liegt, das bis in die 50er Jahre viel kleiner war und ganz früher auch mal einem Leuchtturmwärter als Zuhause diente. 

© Holm Loeffler
  • Wenn der Lärm der Welt verstummt.

© Holm Loefller

Conni und Thomas Diedrichsen

Einsiedelei auf dem Ellenbogen

Die einzigen, die auf dem vier Quadratkilometer großen Ellenbogen direkt gegenüber des meistfotografierten Leuchtturm-Haus-Ensembles leben, sind Conni und Thomas Diedrichsen. Sie lieben den Winter mit seinen langen, dunklen und friedlichen Ellenbogen-Nächten, in denen wenig mehr als der Schein der Leuchttürme das Dunkel durchbricht. Sie sind hier Gastgeber, passen auf die Natur und auch auf die Schafe auf. Zudem gehören sie zu der etwa 40-köpfigen Eigentümergemeinschaft des Listlandes und übernehmen ehrenamtlich Verantwortung. 

Connis Papa Petje kaufte in den 60erJahren ein Gebäude der „Biologischen Anstalt Helgoland“ auf dem Ellenbogen und machte daraus ein Ausflugslokal. Die „jungen“ Diedrichsens leben schon seit fast 2,5 Jahrzehnten im nördlichsten Norden der Insel und zogen hier ihre beiden Jungs groß. Ihre nächsten Local-Nachbarn leben zehn Kilometer entfernt. Ein Ausflugslokal gibt es hier schon lange nicht mehr. Conni und Thomas Diedrichsen bieten in ihrem Haus „Uthörn“ Ferienwohnungen: Wer die totale Ruhe und die Kraft der Sylter Nacht spüren möchte, ist hier genau richtig.

  • Die Herausforderung, das Herz für Besucher des Ellenbogens und Gäste zu öffnen und dennoch den sensiblen Naturstandort zu bewahren, schildern die beiden hier.
     

Der Leuchtturmwärter von Norwegen

Abenteuer mit Weitblick

Thomas Bickhardt kennt sich aus mit unendlich langen Winternächten am rauen Meer. Wenn man weiß, dass er einige Jahre lang auf einer 42,5 Meter hohen Klippe auf einer kleinen Insel am Westkap Norwegens als Leuchtturmwärter lebte und insgesamt 25 Jahre lang dort arbeitete, aus völlig freien Stücken, weil er sich mit Anfang 30 damit einen großen Lebenstraum verwirklichte, dann hätte man von ihm allerdings eine gehörige Portion mehr Kauzigkeit erwartet. Aber so ist es zum Glück mit den Erwartungen. Sie werden gerne mal zerlegt und ein neues Bild darf entstehen. Und sich von Vorbehalten zu verabschieden, ist eines der Lieblingsthemen von Thomas Bickhardt. Wir hatten das Glück im Vorfeld seiner Lesung im Rahmen der „Sylter Sturmwoche“* mit dem Hamburger Psychologen, Fotografen, Schiffsmechaniker und Lebenskünstler zu sprechen.

Was kommt nach einem Leben in einem Leuchtturm, bei dem an Sturmtagen schon der Gang zum Briefkasten zu einem Abenteuer werden kann?
Thomas Bickhardt: Ich wohne jetzt in Hamburg, sehr puristisch, glücklich und begeistert vom Stadtleben. Ich brauche es nicht mehr so ruppig. Ich trage ja alles, was ich erlebt habe, in mir. Mein Lebenstraum ist jetzt ein anderer. Ich freue mich, nur als kleines Beispiel, jeden einzelnen Tag darüber, auf Spaziergängen und überhaupt im Alltag einfach so, Menschen zu begegnen. Mit meinem Buch „Windstärke 15“ möchte ich Mut machen, den eigenen Träumen nachzugehen, sie Wirklichkeit werden zu lassen - ganz gleich, wie wild oder exotisch sie auch erscheinen mögen.

Glauben Sie an Geister in der Nacht?
Thomas Blickhardt: Auf jeden Fall. Dort an meinem Leuchtturm, in einem Nebengebäude, gab es auch welche. Da bin ich sicher. Aber man muss ihnen ja nicht mit Angst und Aufregung begegnen. Sie waren auch irgendwann nach einer Renovierung verschwunden.

Sie sagen, dass Ihnen das Leuchtturmwärter-Leben nicht fehlt, dass Sie Abenteuer, Gefahr, den Zauber und die Wildheit einfach intensiv genug gelebt haben. Was hat Sie an den Nächten in Norwegen beeindruckt?
Thomas Blickhardt: Die große Dunkelheit im Winter in Norwegen kann man lieben lernen. Sie umhüllt und schärft die Wahrnehmung. Und es gab natürlich auch viele epische Nächte auf dem Leuchtturm oder wenn ich mit dem Boot raus bin. Mit Polarlichtern oder der Milchstraße im Westen. Manchmal habe ich für meine Fotos bei Sturm, Dunkelheit und Unwetter auch gerne im Dreck gelegen, um ewig auf den richtigen Fotomoment zu warten. Auch das durfte sich verändern und wäre heute nichts mehr für mich.

© Thomas Bickhardt l Bickfoto

Sie machen mit ihrer Rückkehr aus Norwegen vor einem Jahr zudem Mut, dass sich auch große Ideen verändern dürfen, damit dann vielleicht etwas ganz Neues kommt. Ihre aktuelle Mission ist Sinnbild dafür, dass auch verfestigtes Verhalten umkehrbar ist. Nicht zuletzt, in dem man sich der Prozesse bewusst wird…

Thomas Bickhardt: Stimmt. Ich habe das TILLIT-Institut gegründet und gebe Kurse gegen Seekrankheit. Außerdem bilde ich andere Therapeuten aus, um noch mehr Menschen, die an Seekrankheit leiden, helfen zu können.

Faszinierend. Man kann sich befreien von übelster Übelkeit auf schaukelnder See? Wie geht denn das?
Thomas Bickhardt: Das Gehirn muss sich - bei jedem Menschen - umschalten auf Seegang, um die Bewegungen auf dem Wasser auszugleichen. Dieser Vorgang ist sehr komplex und nimmt manchmal Tage in Anspruch. In dieser Zeit reagiert der Körper mit den Symptomen von Seekrankheit. Die Betroffenen leiden zum Teil so, dass sie richtiggehend traumatisiert sind. Aber man kann das unverzügliche Umschalten auf Seegangmodus erlernen und seefest werden. In meinen Kursen machen wir uns der Prozesse bewusst, die allem zugrunde liegen, und trainieren das „Prinzip Seegang“ mit ganz konkreten Übungen. Sogar schwer betroffene Berufsseeleute können wieder seefest werden und ihren Beruf weiter ausüben.

© Thomas Bickhardt l Bickfoto
Ich liebe die Kraft und die Ruhe der Nacht. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann stehe ich auch einfach auf und arbeite ein wenig.
Thomas Bickhardt

Bestimmt ist das ein langwieriger Prozess. Welche Erfolgsquote gibt es?
Thomas Bickhardt: 80 Prozent der Kursteilnehmer können ihre Seekrankheit für immer hinter sich lassen. Das Seminar dauert nur 4,5 Stunden.

Die Ausgabe dieses Dossiers heißt „Sylt bei Nacht“. Darum die Frage, ob sie die Sylter Nacht überhaupt kennen?
Thomas Blickhardt: Verrückt, aber in der Tat kenne ich Sylt überhaupt nicht, nur das Klischee und bin daher sehr gespannt auf die neue Erfahrung.

Womit Sie viel Erfahrung haben, sind indes sehr, ewig lange Winternächte auf einer Insel im Norden Norwegens. Haben Sie Angst vor der Nacht?
Thomas Blickhardt: Nein, überhaupt nicht. Ich liebe die Kraft und die Ruhe der Nacht. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann stehe ich auch einfach auf und arbeite ein wenig. Den Dingen die Dramatik nehmen und entspannt bleiben, wenn man nicht schlafen kann, das hilft.

Sie sind ein Reisender. Die Psychologie, die dem Reisen zugrunde liegt, fasziniert Sie. Sie haben im Studium darüber geforscht. Was motiviert Menschen, auf Reisen zu gehen?
Thomas Blickhardt: Es sind eine Vielzahl an Gründen, auch gesellschaftliche, vor allem aber die ewige Hoffnung darauf, dass das Leben an einem anderen Ort besser und leichter ist. Interessanterweise reisen viele Menschen nur, um ihre Vorurteile bestätigt zu wissen. Ich empfehle immer: Schmeißt alle Reiseführer weg, reist offen und lebt ohne Vorbehalt!

Sie scheinen die Gabe zu haben, auch die großen Dinge des Lebens gut wieder loslassen zu können…
Thomas Blickhardt: Am Buddhismus finde ich ja ein paar Dinge ganz gut, obwohl ich ganz und gar nicht gläubig bin. Ein alter Zen-Spruch sagt: „Triffst du Buddha unterwegs, tritt ihm in den Hintern, denn dann bist du falsch gegangen!“ Gefallen hat mir schon als Student der buddhistische Grundsatz, nicht anzuhaften, Dinge loszulassen und zu überwinden. Das macht möglich, ganz im Moment zu sein.

*Thomas Bickhardt liest am Dienstag. 21. Januar, um 18.30 Uhr im „Onkel Johnny`s“ am 
Wenningstedter Strand aus seinem Buch „Windstärke 15“. Alles zu der winterlichen Sylter Erlebniswoche

© Thomas Bickhardt l Bickfoto
© Ralf Meyer
Im Lichtkegel der Kampener Leuchttürme 

Das Quermarkenfeuer

Ist es nicht süß?

Nur wenige Objekte in der kargen Sylter Landschaft bieten ein prominenteres Motiv als das Kampener Quermarkenfeuer. Dabei leuchtet der kleine Turm selbst schon lange nicht mehr, wird aber in der Nacht stilvoll von außen angestrahlt. Zwölf Meter hoch, achteckig, aus Backstein, 1913 in Dienst gestellt, 1974 in den Ruhestand geschickt. Nach der Außerdienst-Stellung mietete die Gemeinde Kampen ihr kleines Wahrzeichen für zehn Mark monatlich vom Land, um es dann für relativ kleines Geld zu kaufen und regelmäßig mit Hilfe von Spenden in Schuss zu halten.

Das kleine Leuchtfeuer verströmt trotz seiner gedrungenen Statur pure Erhabenheit. Wie sein großer Bruder, der „Lange Christian“ im Süden des Dorfes, diente das Quermarkenfeuer der Orientierung. Heute ist es zwar nicht mehr wegweisend für Seeleute, aber dafür für Inselmenschen und ihre Gäste. Und das beinahe noch stärker im übertragenen als im geografischen Sinne. Der „Kleine“ ist ein Individualist in einem Dorf, das in seiner Genese eine magische Anziehungskraft auf Menschen mit individuellen, bunten Lebensentwürfen hatte. 

© Dominik Täuber
  • Es gibt wohl keine Perspektive, aus der das Kampener Quermarkenfeuer nicht schon inszeniert worden wäre.

© Ralf Meyer

Ralf Meyer fotografiert

Polarlichter, Sternschnuppen und die Milchstraße

Ralf Meyer wohnt „direkt gegenüber“ von Kampen. Auf dem Festland. In Neukirchen. Seine Wahlheimat. Der Fotograf mag die Stille und Ursprünglichkeit dort auf dem nordfriesischen Plattland, direkt an der Grenze. Meistens sieht er von dort aus, wann es für ihn spannend wird, sein Equipment zu schnappen und mit dem Zug zur „Arbeit“ in 20 Minuten nach Sylt rüberzufahren. Seine eigenen Vorhersagen, die sich auf seine Mega-Wetter-Erfahrung als einstiger Surflehrer stützt, sind brillant. Flankiert werden seine „Prophezeiungen“ durch Technik. Ralf Meyer kennt die besten Wetter- und Astro-Apps, weiß, wann und wo am besten Polarlichter oder die Milchstraße zu sehen sein könnten, wann die meisten Sternschnuppen zu erwarten sind und wann nachtleuchtende Eiswolken für einen mystischen Zauber am Sylter Nachthimmel sorgen. 

„Ich liebe es, die Natur zu beobachten - auf dem Meer, am Himmel, an Land. Magische Momente, wenn es gelingt, besondere Phänomene auch noch festzuhalten. Manchmal bewahre ich die Bilder aber auch einfach im Herzen.“

Gerade für Nachtfotos empfiehlt er eher die nördlichen Strandabschnitte. „Die geringste Lichtverschmutzung auf Sylt findet man aber an den Hörnumer Tetrapoden und am FKK-Strand List“, weiß Meyer, der die Insel kennt wie seine Westentausche. Sein Wissen, seine technischen Skills und auch Spots teilt er mit Leidenschaft: Er zieht mit Fotografie-Interessierten los, weiht auch Profi-Kolleg:innen bei Bedarf in das Geheimnis ein, wie sich der Zauber der Insel einfangen lässt. „Ich gehe nur mit einzelnen Menschen oder in kleinen Gruppen“, ist Meyers Credo für seine vor allem nächtlichen Touren. Wer Interesse hat, erfährt hier mehr:

Nun aber zu den Polarlichtern, die noch in den nächsten zwei Jahren intensiv am nördlichen Himmel zu sehen sein werden. Dann ist das herrliche Nachtspektakel, das vor allem im Herbst 2024 in aller Munde war, erstmal für zehn Jahre vorbei. Polarlichter (oder „Aurora“) entstehen, wenn elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes auf die oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen. Dort regen sie die vorhandenen Luftmoleküle zum Leuchten an. Die Sichtbarkeit von Polarlichtern wird durch den sogenannten KP-Index bestimmt. Je höher der Wert, desto südlicher können die Nordlichter beobachtet werden. In klaren Nächten kann man ab einer Stärke von KP 5 Nordlichter mit bloßem Augen sehen. Darunter nur durch die Linse einer Kamera. Hier gibt es Vorhersagen.
 

Auch die Milchstraßen-Fotografie ist eine Kunst für sich. Astro-Apps helfen. Und Ralf Meyer mit seiner Kenntnis. „In unseren Breitengraden ist die Milchstraße in den Sommermonaten im Süden bis Westen sichtbar. Jetzt kann man das Glück eher im Westen bis Norden finden.“ Und dann sind da noch die leuchtenden Nachtwolken oder nachtleuchtenden Eiswolken (NLC), die Ralf Meyer inspirieren. „Das ist ein sehr seltenes Wetterphänomen, ein Spektakel - auf Sylt manchmal im Juni und Juli in nördlicher Richtung zu beobachten. Die leuchtenden Nachtwolken stehen silbrig weiß, manchmal bläulich am Horizont. Sie bestehen aus Eiskristallen, werden von der Sonne angestrahlt und reflektieren das Licht.

© Ralf Meyer
  • Wo Dunkelheit herrscht, können Wunder leuchten.

Nachtwanderung + Fondue 

= Erlebnis

An einem Standort wie dem „Kaamps 7“ am Kampener Hauptstrand ist es schwer, einfach nur lapidar ein Käffchen zu trinken. Nicht, dass es hier in dem Holz-Pfahlbau mit dem Runderker nicht Kaffee aller Art gäbe: Doch durch die atemberaubende Natur ringsum wird irgendwie jedes Getränk zur Offenbarung. Gastgeberin Christina Böckmann setzt verstärkt auf diesen Effekt. Mit einem Konzept, das den Erlebnismoment und die Dunkelheit der Winternacht in den Fokus stellt. 

„Mein Mann und ich lieben die Hüttenkultur in den Bergen. Die hat uns inspiriert.“

Die kleine Hütten-Inszenierung à la Kampen geht jetzt so: Wer sich zu der kleinen Nachtwanderung angemeldet hat, wird von der Wirtin persönlich am „Haus Kliffende“ abgeholt. Es gibt auch eine Laterne für jeden Gast, die den Pfad durch die Dünen erhellt. Christina Böckmann erzählt auf dem Weg Spannendes über die Gebäude, die die Wandergruppe passiert, über das Quermarkenfeuer, über Kampen und seine Menschen. „Keine langen Vorträge. Es ist einfach ein kleiner Spaziergang - garniert mit Wissenswertem“, meint die Gastronomin bescheiden. Im „Kaamps 7“ angekommen, wartet dann ein reichhaltiges Fondue mit lauter frischen Köstlichkeiten auf die Gäste. „Schön zu erleben, wie durch das Erlebnis eine Verbindung entsteht zwischen den Menschen“, freut sich Christina Böckmann, dass ihre Idee aufgegangen ist.

Der „Lange Christian“ sorgt für…

Nächtliche
Erleuchtung

Den Schönheitswettbewerb der Sylter Leuchttürme würde er wahrscheinlich für sich entscheiden: Allein schon wegen seines Looks. Denn Weiß mit schwarzer Binde - das können nur die wenigsten Leuchttürme weltweit vorweisen. Bis 1953, war der „Lange Christian“ noch mausgrau - alte Postkarten bezeugen das. Aber die eleganten Proportionen besaß er natürlich schon immer. Seine Lage zwischen Watt und Wellenschlag auf der grünen Wiese ist für einen Leuchtturm ebenfalls ziemlich exotisch. Die schwarz-weiß gezeichnete Galloway-Herde zu seinen Füßen setzt der Idylle das Krönchen auf.

Zu allem verströmt der „Lange Christian“ meditative Energie. Das bezeugen jedenfalls diejenigen, die das ganze Jahr über in seinem Lichtkegel leben und ihn von ihrem Garten aus sehen können. Bauer Runkel, der letzte verbliebene Landwirt im Ort (er hat die besten Kartoffeln), lebt im Dunstkreis des „Langen Christian“ und freut sich daran, dass seine robuste, schwarz-weiße Galloway-Gattung so gut mit dem Turm „matcht“.

Doch jetzt zu den Leuchtturm-Fakten: Die dänische Krone, zu der Sylt gehörte, gab 1853 den Befehl auf einer höher gelegenen Stelle der Insel einen Leuchtturm aus Bornhomer Klinker zu errichten, um zusammen mit den Lister Leuchttürmen die Einfahrt in das Lister Tief zu sichern. Noch heute trägt das Leuchtfeuer das Monogramm des damaligen dänischen Königs Frederik VII.

Der Kampener Leuchtturm wurde für die weite Sichtbarkeit auf dem Geestkern der Insel errichtet, ist 40 Meter hoch und gehört der Spezies der Orientierungsleuchtfeuer an. Sein ursprünglicher Name war „Rotes Kliff“. Die zunächst erbaute Technik, ein mit Petroleum gespeister Leuchtapparat, war damals eine Revolution und wurde daher auf der Weltausstellung von Paris 1855 gezeigt. Erst 1856 wurde der „Lange Christian“ in Dienst gestellt. Anders als heute konnte er in seinen jungen Jahren besichtigt werden und war im frühen Fremdenverkehr eines der Top-Ausflugsziele. 1929 wurde der Turm auf Elektrobetrieb umgestellt und das Feuer mit einer Glühbirne betrieben. Wie alle ehemals aktiven Leuchtfeuer wird er seit 1977 ferngesteuert.

© Ralf Meyer
  • Ein seltenes Fundstück: Verträumtes Schneegestöber am „Langen Christian".

Unter Denkmalschutz gestellt wurde der Turm schon 1974. Ein geselliges Datum in der Historie der Schwarzweißen war das Fest zum 150. Geburtstag im Juni 2006: Da veranstaltete die Gemeinde Kampen zu seinen Ehren ein XXL-Fest vor dem Turm. Damals konnte man auch eine Besichtigung gewinnen, die 159 Stufen hochklettern und einen sicherlich grandiosen Blick genießen.

© Club Rotes Kliff

Sylter Nightlife

Die Legende lebt

Früher war auf jeden Fall mehr Lametta und alles viel besser, wilder, glitzernder: Unter dem Blick durch die Nostalgie-Brille leidet Sylt an mancher Stelle und oft völlig zu Unrecht. In Bezug auf das Nachtleben lässt sich indes so neutral wie möglich formulieren, dass es früher in der Tat auf der kleinen Insel im Norden viele, sehr besondere Ausgeh-Orte gleichzeitig gab und dass es zum Beispiel in den 70ern bis ins erste 2000er Jahrzehnt deutlich leichter war, erst im Morgengrauen zuhause zu landen. Elegant mischten sich in den Nightlife-Spots jener Jahrzehnte unterschiedliche Generationen und Szenen. Stets kam zu „High End“ auch diese sympathisch dörfliche Note. Das hat sich zum Beispiel bis heute nicht geändert.

Und jetzt? Keine Panik: Man kann sich auf Sylt des Nachts nach wie vor allerbestens amüsieren: Der „Club Rotes Kliff“ in Kampen feiert 2025 in aller Frische sein 45. Jubiläum. „Grandmaster PK“, alias Peter Kliem, legt mit ungebrochener Begeisterung auf - unterstützt von einer Schar junger DJs. Junge Regie und eine noch längere Tradition hat das „Pony“. In Westerland gibt’s zudem ein Dutzend muntere Kneipen („Alt Berlin“, „Irish Pub“ „Gatz-Bierbar“, "Monkeys Bar" uvm.), die schicksten Hotelbars überhaupt („Hotel Stadt Hamburg“, „Miramar“) und ausgewiesene Clubs wie die „Wunderbar“ und das „Provokant“.

Hier ein paar Namen, um das nostalgische Diskolicht in die Winternacht strahlen zu lassen. Wir erinnern uns an: das „KC“ - das Kleist Casino, der beste queere Club überhaupt // an Vollmondnächte an der „Bambus Bar“ // Tanz auf dem Tresen des „Village“ oder der „Lola“ in Kampen (im Dorf der Dörfer war übrigens lange um 1 Uhr Sperrstunde) // Danz op de Deel im unglaublichen  „Kliffkieker“ in Wenningstedt oder auf der drehende Tanzfläche im „Tivoli“ // an die Jahrzehnte im „American“, erst oben und unten, dann nur noch im Bistro // an den wirklich rustikalen „Crazy Island Club“ // „Tommy’s Musikcafé“ // an Schwof im „Salon 1900“ in Keitum // “Badezeit“ und so viele andere Nachtleben-Spots

Aber das Beste zum Schluss: Am Samstag, 18. Januar, wird im Rahmen der „Sylter Sturmwoche“ der womöglich sagenhafteste Club kurzfristig aus seinem Dornröschen-Schlaf geweckt. Das “Lila Wunder” befindet sich im Untergeschoss des „Hotel Roth“. Das „Galaxis“ lässt selbst Disko-Cosmopoliten den Atem stocken. Los geht’s um 19 Uhr. Gefeiert wird der neueste Schrei der urbanen Szene: Ein Party-Bingo-Abend mit den „Bingo Gringos Ben & Max“. Karten gibt’s hier (leider schon ausverkauft). Aber es muss ja nicht das letzte Mal sein, dass die „Galaxis“ wachgeküsst wird. 

Stefan Lakomy ist Nachtportier im „Severin*s Resort & Spa"

Von wegen schläfrig!

Hebammen, Türsteher, Polizist:innen, die DRK-Rettungscrew, Bäckerinnen und Bäcker, die Nachtschicht in der Nordseeklinik: Zu dem guten Dutzend klassischer Nachtjobs auf einer Urlaubsinsel gehört auch der des Portiers. Stefan Lakomy zählt zu dieser Spezies. Dienstbar und formvollendet steht er im Keitumer „Severin*s Resort & Spa“ ab 22.30 Uhr hinter dem mit Blumen geschmückten Rezeptionstresen. Außer montags und dienstags. Da hat er frei. 

„Mein Ziel? Diesen Hauch mehr Service zu bieten, als unsere Gäste ohnehin erwarten dürfen“, lautet die Interpretation seiner Aufgabenstellung.

Was seine Gäste des Nachts so brauchen, fällt zum allergeringsten Teil unter die Diskretionspflicht: Die Rechnung vorbereiten für die frühe Abreise am Morgen, den Wagen in die Tiefgarage umparken, noch einen gepflegten Schlummertrunk in die XXL-Sitzlandschaft der Lobby servieren, wenn die Bar schon geschlossen hat. Freundliche Worte finden bei der Ankunft von Nachtschwärmern - das sind die Standards. Seltener kommt es vor, dass ärztlicher Rat eingeholt oder gar der Notdienst angefordert werden muss. 

© Imke Wein
© Severins Resort und Spa I Tom Kohler

Völlig allein wach ist er nachts ganz selten in dem edlen Resort, das wie ein friesisches Dorf anmutet. Den Kopf zum Schlummern auf den schicken Tresen legen - wie in einer Filmszene? Auch dazu kommt es nicht. Stefan Lakomy muss das Backoffice sowie die An- und Abreisen für den nächsten Tag vorbereiten. Nach der Schließung der Restaurants und der Bar sorgt er gemeinsam mit den Kolleg:innen für den reibungslosen Abschluss der Tagesabrechnungen. Er versorgt im Winter das Kaminfeuer und bereitet die Hauszeitung für ihr Erscheinen am nächsten Tag vor. In den frühen Morgenstunden sorgt ein Clean-Team für Sauberkeit in der Lobby, dann kommt auch schon der Frühstücksservice. Stefan Lakomy hat den Kollegen aufgelistet, welche Gäste welche besonderen Wünsche und Bedürfnisse haben. „So gegen zwei Uhr, wenn es im Haus am Ruhigsten ist, schaue ich in der Pause vielleicht mal sowas wie die ,Tagesthemen’. Aber Däumchen drehen - das gibt’s für mich nicht. Und das ist auch gut so.“

Stefan Lakomys Schicht beginnt um 22.30 Uhr und dauert bis morgens um 7 Uhr. Sorgfältige Übergaben inklusive. Wenn er morgens nach Hause kommt, wird ausgiebig gefrühstückt. Mit seiner Frau Sonja. Sie kennt Nachtarbeit als ausgebildete Hebamme aus eigener Erfahrung. Heute richtet sie allerdings Ferienobjekte und Hotels auf Sylt und Mallorca ein. Das Unternehmen Einrichtung Lakomy hat das Paar vor drei Jahren gemeinsam gegründet.

Bevor Stefan sich am Vormittag eine Strecke Schlaf gönnt, besprechen die beiden also auch Geschäftliches. Acht Stunden am Stück - das gelingt ihm selten. Trotz der Nachtarbeit schafft Lakomy es regelmäßig, mit seiner Fußball-Mannschaft von der Dänischen Minderheit zu trainieren. An seinen freien Tagen zum klassischen Tag-Nacht-Rhythmus zu wechseln, wäre für seinen Körper zu stressig. Das macht für ihn nur in den Ferien Sinn. Stefan Lakomy hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt, um auf eine gesunde Form von Nachtarbeit vorbereitet zu sein. „Aber der Körper möchte immer zurück zum Nachtschlaf. Das ist bei jedem so. Die Frage ist nur, wie gut man ihn austricksen kann“, weiß Lakomy, dem das offenbar hervorragend gelingt.

© Julia Lund
Im Lichtkegel des Hörnumer Leuchtturms 
© Peter Bender
  • Der Hörnumer Star im “Zauberwald” badend.

Der Leuchtturm zu Hörnum

In alle Richtungen majestätisch

19 Seemeilen weit reicht die Leuchtkraft des Hörnumer Turms, der mit seinen 33 Meter Höhe und seiner Position im Dorf (er steht auf einer 17 Meter hohen Düne) die Funktion des Wahrzeichens ausfüllt wie kein anderer auf der Insel. Vor allem dient er natürlich der Seefahrt als Orientierung und als Kennzeichnung des Fahrwassers zwischen der Südspitze und Amrum.
Das „Alleinstellungsmerkmal“ des rot-weißen Bilderbuch-Leuchtturms? Man kann ihn ab März und dann den ganzen Sommer mehrfach wöchentlich besichtigen. Ruft man den Tourismus-Service Hörnum an, so haben die Infos für den Ticketkauf sogar ihre eigene Telefonleitung: Die Sehnsucht, den Weitblick über die Insel, aufs Festland, nach Amrum, Föhr bis zu den Halligen zu genießen, ist offenbar riesig. Die Aussichtsplattform mit Rundbalkon unter der Laterne beschert atemberaubende Momente.

Bis vor kurzem diente der Turm dem Standesamt Sylt auf seiner sechsten Etage auch als Außen-Location für „Ja"-Sager:innen ohne Schwindelgefühl. In der Höhe des weißen Streifens besitzt das „Seefeuer 1. Ordnung“ einen so respektablen Durchmesser, das es den Hörnumer Kindern von 1914 bis 1933 - also bevor Hörnum militärisch relevant wurde und sich die Ortsgröße durch zugezogene Soldaten und ihrem Familien vervielfachte - als kleinster Klassenraum Deutschlands diente. Der letzte Leuchtturmwärter checkte dann in den 70er Jahren aus: Seit 1977 wird der Turm vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Tönning gesteuert. Das Hörnumer Leuchtfeuer ist beinahe baugleich mit den Türmen in Büsum, Pellworm und Westerheversand.

Für echte Leuchtturm-Nerds hier noch lichttechnische Details

Günter ohne h

Der Held der Hörnumer Nacht

Wenn Günter Jürgensen seinen ersten Frühstückskaffee schlürft und dann die Wohnung verlässt, liegt Hörnum im Tiefschlaf. Wahrscheinlich ist mit ihm nur noch der Portier des „Hotel Budersand“ auf den Beinen und vielleicht ein paar Schlaflose. Denn es ist zwei Stunden nach Mitternacht. Manchmal früher, manchmal später, spaziert er die paar Meter Düne runter - je nach Saison und dem zu erwartenden Ansturm bei Bäcker Lund. Der Leuchtturm erhellt seit Jahrzehnten seinen Weg.

„Früher hatten wir im Dorf auch ein paar Kneipen mit richtigem Nachtleben. ,Tante Jens’ war so eine Legende.* Im Hafen gibt’s, wenn ich zur Arbeit gehe, wenig Bewegung, ganz manchmal bei den Muschelfischern. Ich mag die Stille. Sind aber ja auch nur fünf Minuten bis zur Backstube“, meint der gebürtige Flensburger und hat damit für seine Verhältnisse exzessiv geplaudert. Seit 4,5 Jahrzehnten ist Günter („Für das H war bei uns kein Geld“) der Geselle in der Hörnumer Backstube. Die Betonung liegt auf „der“. Denn seinen Händen beim Umgang mit Zutaten, Teigen und Öfen zuzuschauen, ist wie eine Kunstperformance. Günter selbst macht um den ganzen nächtlichen Zauber, der im Raum ist, wenn er arbeitet, nicht so viel Aufhebens. Zuschauer:innen in der Backstube stören ihn eher, als dass sie sein Ego kitzeln. „Ich liebe meine Arbeit einfach“, wird er dazu sagen, während er Azubi Quinlan zeigt, wie Plunderteig in „Bürgermeister“ („Unbedingt probieren! Das beste Stück Kuchen im Norden“) verwandelt wird.

Die ersten Morgenstunden ist Günter allein mit sich, den Songs auf NDR1, den großen Öfen, den Teigen und all den einzelnen Arbeitsschritte, die das Bio-Brot und die Brötchen von Bäcker Lund zu Objekten der inselweiten Begierde machen. 

„Am Anfang haben Jens und ich ganz schön getüftelt, bis wir alle Rezepte in Bioqualität verwandelt hatten. Jetzt gelingt uns das erstklassig. Aber wir experimentieren weiter gerne."

Sagt der Mann mit der Unterarmbreite, die an Comic-Seemann „Popeye“ erinnert. „Günter hat der Himmel geschickt“, würde eventuell der Senior-Chef Dieter Lund sagen, wenn er da wäre. Günter meint: „Das Flensburger Arbeitsamt ist Schuld“. Günter ist eines von ehemals zehn Geschwistern einer Flensburger Arbeiterfamilie. Als „herzlich, aber rustikal“ beschreibt er seine Kindheit. Nach der Schule hat er erst seinem „Vadder mit den Pferden“ geholfen, bevor er Bäcker lernte. 

© Melina Moersdorf
© Melina Moersdorf

Und dann passierte ihm vor über vier Jahrzehnten Hörnum. Er fand seine Berufung, seine zweite Familie und Beheimatung in einem Ort „am Ende des Nirgendwo“. Mit Juniorchef Jens, der als Küchenmeister mit internationaler Erfahrung in Sterneküchen den Qualitätsanspruch von Bäckerei, Konditorei und Küche ständig weiterentwickelt, versteht sich Günter großartig. Im Fall der beiden Männer heißt das: weitgehend wortlos. Jens Lund kommt auch jeden Morgen in die Backstube. Ein paar Stunden nach Günter, aber so etwa mit dem Lehrling, dem Konditoren-Team und den anderen helfenden Händen. Mit genug Zeit jedenfalls, um zur Ladeneröffnung das prächtige Sortiment fertig zu haben. Wenn alles am Platz und die Vorbereitungen gegen 10 Uhr abgeschlossen sind, macht Günter Feierabend. Gegen Abend wird er nochmal vorbeischauen und kontrollieren „ob die Teige alle gut aufgehen!“ Zu bremsen ist er ohnehin nicht. Ein richtig guter Schläfer auch nicht.

Durch den Tod seiner Frau Gerti im vergangenen September ist seine Schlafroutine nicht unbedingt besser geworden. Gerti hat auch jahrzehntelang bei den Lunds gearbeitet. Im Laden. Auch Günters Sohn Daniel gehört zur Belegschaft: Er ist Koch. „Ich muss mich nach Gertis Tod erst einmal neu finden“, definiert Günter seinen Auftrag für 2025. Die anfängliche Sorge von Jens Lund, dass sein Geselle womöglich auf die Idee kommen könnte, in ein paar Jahren den Ruhestand anzusteuern, zerstreut Günter sofort: „Ich werde auf jeden Fall stundenweise weiterarbeiten. Was soll ich denn ohne meine Arbeit? Bis auf mein Knie ist doch alles in Schuss.“ 
Wenn dieses Magazin erscheint, tritt Günter gerade eine echte Herausforderung an: Die Lunds machen Winter-Betriebsferien. „Ach, das bekomme ich hin. Ich könnte ja mal zuhause renovieren“, heißt Günters Plan für die Ferienwochen. Vielleicht schläft er jetzt sogar mal in der Nacht und in Hörnum versieht nur noch der Leuchtturm seinen Job.

*“Tante Jens“ in der Rantumer Straße war eines dieser urigen Phänomene des Sylter Nachtlebens. Der Kabarettist aus der queeren Szene verließ Hörnum 2009 und eröffnete auf Norderney eine neue Kabarett-Travestie-Show-Disko mit gleichem Namen. Unter großer Anteilnahme der Medien verstarb er im Juli 2024.

Alles über Bäckerei Lund und die Philosophie dahinter:

 

Bankkauffrau Melanie Schneider 

Auf Rettung geprägt

Beim Thema „Rettung auf nächtlicher See“ denkt man wahrscheinlich zuerst an die hauptamtliche Crew des Seenotrettungskreuzers „Pidder Lüng“ im Lister Hafen. An Bord wurde des Nachts vor fast vier Jahren sogar mal ein Sylter Baby geboren, weil kein Hubschrauber fliegen konnte.* Diese atemberaubende Rettungs-Geschichte und ganz viel mehr erzählt die Crew vielleicht, wenn am 20. Januar um 15.30 Uhr anlässlich der „Sylter Sturmwoche“ „open ship“ auf der „Pidder Lüng“ ist. 

*Mehr zu dieser wahren Begebenheit auch hier

Da unser digitales Dossier über das nächtliche Treiben auf Sylt stark männerlastig geraten ist, haben wir uns nach einer Frau im Rettungswesen umgeschaut und trafen im Hörnumer Hafen auf der „Horst Heiner Kneten“ (benannt nach einem Spender) - dem etwas kleinere Seenotrettungsboot der DGzRS im Inselsüden - Melanie Schneider. Eine Sylterin, vor der man gerne sämtliche Hüte der Welt ziehen darf.

6 Fragen an die Seenotretterin

Mir war überhaupt nicht bewusst, dass das Seenotrettungsboot in Hörnum ausschließlich mit Retterinnen und Rettern im Ehrenamt besetzt wird, die für andere ihr Leben riskieren. Es ist niemand ständig an Bord. Ihr kommt nur bei Alarm, oder?
Melanie Schneider: Genau. Wir werden über eine App alarmiert. Da ich in Hörnum wohne und meistens die erste im Hafen bin, mache ich dann schonmal alles klar zum Auslaufen, damit wir schnellstmöglich loskönnen, wenn der Bootsführer und der Kollege aus der Inselmitte da sind.

Sie sind auch bei der Freiwilligen Feuerwehr in Hörnum engagiert. Bleibt da überhaupt noch Zeit für einen Geldverdienjob?
Melanie Schneider: Aber klar, ist da noch Zeit! Alles eine Frage eines gut gemanagten Kalenders, um die Dienste richtig zu planen. Mein Mann ist auch Seenotretter. Einer der Festangestellten, stationiert auf Helgoland. Er hat zwei Wochen Dienst und zwei Wochen frei. Wenn er frei hat, macht er manchmal noch Schichten beim DRK-Rettungsdienst auf Sylt. Dann sind da immer noch unsere Lehrgänge, Fort- und Weiterbildungen. Aber ja: Es ist trotzdem Zeit für Urlaub. Und für ganze normale Alltagssachen. Als Hauptamt mache ich etwas, das ist eher das Gegenteil von abenteuerlich. Ich bin Bankkauffrau und arbeite bei der „Deutschen Bank“ in Westerland. Man unterstellt mir in der Familie gerne, ich sei schon als Kind sehr ordentlich, ja perfektionistisch, gewesen. Das muss irgendwie gelebt werden und kommt mir ja auch als Retterin zugute.
 

© Die Seenotretter – DGzRS l Kilian Westphal

Alles, was mit nächtlichen Rettungseinsätzen zu tun hat, findet man bei Ihnen zuhause also unter einem Dach. Klar ist, dass Ihre Entscheidung für das Engagement auf hoher See auch mit familiärer Prägung zu tun hat….
Melanie Schneider: Stimmt. Mein Vater ist zur See gefahren. Ich bin in Kiel geboren worden. Mein Vater ließ sich später nach Hörnum zum Zoll versetzen. Er war auch freiwilliger Seenotretter. Durch ihn kenne ich auch das mit den nächtlichen Diensten gut. Ich bin mit Hafenblick in die Hörnumer Grundschule gegangen, liebe Wassersport und bade schrecklich gern in der Brandung. Seit ich zehn bin, bin ich bei der Hörnumer Jugendfeuerwehr. Dort habe ich, niemand wundert es, auch den Posten der Kassenwartin und habe immer Freude an neuen Spezialisierungen. Wir haben hier bei uns im Süden der Insel auch zwei Feuerwehrleute, die als Sanitäter im Notfall als Erste vor Ort sind. Denn in Hörnum dauert es etwas länger, bis der Rettungswagen hier sein kann. Da hätte ich auch Spaß dran, aber dann wird es vielleicht alles etwas viel.

© Die Seenotretter – DGzRS

Wenn nun ihre Seenotretter-App am Tag oder in der Nacht Alarm schlägt, was könnten das für Einsätze sein, die da auf Sie warten?
Melanie Schneider: Also Havarien von Schiffen aller Art - da arbeiten wir dann natürlich auch im engen Verbund mit den DGzRS-Stationen in List und auf Amrum. Oder eben Schwimmer oder Wassersportler in Gefahrensituationen.

Erzählen Sie mal von einem realen nächtlichen Einsatz, der es in sich hatte…
Melanie Schneider: Das war zum Beispiel im letzten Sommer. Es war schon dunkel. Wir wurden alarmiert, weil Schwimmer in Rantum in Not geraten waren. Es war wüster Wind, wir kamen kaum vorwärts. Vor der Südspitze waren die Wellen ungelogen drei Meter hoch. Wir brauchten eine Stunde und waren noch nicht um die Spitze rum. Die Lister Kollegen waren vor uns an der Rantumer Westseite. Wir mussten abbrechen. Zum Glück war es ein Fehlalarm und niemand ist zu Schaden gekommen. Einmal wurden wir bei Dunkelheit in Rantum an die Ostseite gerufen, weil vermeintlich rote Rettungsraketen gesichtet worden waren. Es herrschte Starkwind und wir waren mit Hilfe von Suchscheinwerfen stundenlang unterwegs. Ein Hubschrauber war auch im Einsatz. Aber wir fanden niemanden. Offenbar hatte jemand das Licht der Windräder mit einer Rettungsrakete verwechselt und Alarm geschlagen. Aber wir fahren natürlich lieber einmal zu viel raus, als dass jemand ertrinkt.

Haben Sie Angst vor der Gefahr oder gar vor dem Tod bei einem Einsatz?
Melanie Schneider: Nein, Angst vor meinem Tod habe ich nicht. Ich bin auf Teneriffa beim Brandungsbaden mal fast ertrunken. Ich habe mich dann mit dem Trauma auseinandergesetzt, damit da nichts übrigbleibt. Was ich aber habe, ist die Angst vor dem Tod meiner liebsten Menschen und Respekt vor Gefahren, den habe ich natürlich auch.

Sie sind eine echte Heldin des Alltags. Danke für Ihr Engagement.

Melanie Schneider ist auch Gesicht für die Öffentlichkeit der rein spendenfinanzierten DGzRS und hatte eine Rolle im Santiano-Video zum Song „Retter“: 

© Die Seenotretter – DGzRS

Die Seenotretter
auf Sylt 

in Zahlen

Im Jahr 2023 verzeichnete die DGzRS-Station Hörnum drei Einsätze, List 39. Insgesamt wurden 2023 von den Seenotretter:innen auf Sylt 48 Personen aus drohender Gefahr befreit. In ein paar Wochen folgen die Zahlen für 2024. Die allermeisten der rund 1.000 Seenotretter:innen in Deutschland sind Freiwillige. Nur etwa 180 auf den größeren, rund um die Uhr besetzten Einheiten sind bei der DGzRS fest angestellt. Insgesamt unterhält die DGzRS zwischen der Insel Borkum im Westen und der Pommerschen Bucht im Osten rund 60 Rettungseinheiten auf 55 Stationen mit 2.000 jährlichen Einsätzen. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat ihre Zentrale in Bremen und finanziert ihre Arbeit ausschließlich mit freiwilligen Zuwendungen. www.seenotretter.de

Ganz viel spannendes Filmmaterial zu den Lister Seenotrettern gibt’s hier.
Und zur Hörnumer Crew hier.

3  Einsätze

in Hörnum

39  Einsätze

in List

48  Personen

aus drohender Gefahr befreit

1000  Seenotretter:innen in Deutschland

Die meisten als Freiwillige

Die Leuchtturm-bei-Tag-und-bei-Nacht-
Kolumne

von Imke Wein

© Imke Wein
00:00

Wenn man seit Jahrzehnten auf Sylt lebt, kennt man jeden Stein entlang der Inselpisten persönlich und hat garantiert auch zu den fünf Leuchttürmen irgendeine Verbindung, die über unzählige Spaziergänge in ihrem Schein hinausgeht. Die Best-Of-Sylter-Leuchtturmmomente der „Natürlich Sylt“-Autorin Imke Wein sind diese:

 

Cocktail unterm Ostfeuer

Meine drei Kinder haben drei Väter. Der Vater meiner ältesten Tochter ist Matthias Kraemer, der Gründer des „Meerkabaretts“. Seiner Familie gehörte das Anwesen unter dem Ostfeuer auf dem Ellenbogen. Seine Mutter war eine Frau, die eine exzellente Protagonistin in einem Thomas-Mann-Roman gegeben hätte. Diese sehr kultivierte Dame zelebrierte ihre Ellenbogen-Sommerfrische auch gerne alleine in diesem riesigen Haus in einzigartiger Lage. Ihr Mann war Architekt gewesen und hatte sich mit seiner Familie unmittelbar nach dem Krieg den Traum vom Haus unterm Leuchtturm realisiert und das ursprünglich kleine Häuschen nach und nach vergrößert bis zu dem Format, das es heute noch hat. Ich wohnte damals in List und habe Inge Kraemer an Sommerabenden gerne besucht. 
Was für ein erhabenes Gefühl übrigens, an dem bis heute friesisch-streng blickenden Personal der Maut-Station grüßend mit den Worten zu stoppen: „Ich bin zu Gast bei den Kraemers.“ Aber das nur nebenbei. Zu meinen liebsten Erinnerungen an Inge Kraemer gehört, wie wir nachts auf der Bank hinter ihrem Haus saßen, mit einem feinst elaborierten Cocktail in der Hand, über Kunst und Kultur und das Menschsein philosophierend. Die Taktung des Leuchtfeuers war wie der Herzschlag unseres Gesprächs. Noch schöner: das wohlige Schweigen, dieses stumme Einverständnis zweier Frauen. Und dann sagte die alte Dame zu der jüngeren Frau im Schein des Leuchtturms: „Ach Du, genieße Deine Jugend!“ Den tiefen Sinn dieser Aufforderung verstehe ich erst jetzt, Jahrzehnte später.

© Holger Widera
Das Mantra vom „Langen Christian“

In einem meiner früheren Leben war ich die Gemahlin eines Zirkusdirektors. Des Direktors des InselCircus. Viele werden sich an das bunte Sommerspektakel erinnern, das möglicherweise im Sommer 2025 nach Sylt zurückkommt. Wenn wir damals jedenfalls zwei Monate auf dem Zirkusplatz lebten, war ein schicker, knallroter Schaustellerwagen unser Zuhause. Er stand direkt am Fahrradweg. Die Biker-Ströme, die quasi an unserem Wohn-Schlaf-Zimmer vorbeiradelten, hielten sich in Höhe meines Fensters nicht lange mit Kommentaren über das ganze zauberhafte Zirkusdorf auf. Ganz selten hörte ich sowas wie: „Wo wohnen wohl die Löwen?“ In 99 Prozent der Fälle vermeldeten die Radler in Höhe unseres fliegenden Zuhauses inbrünstig: „Schau(t) mal, da ist der Leuchtturm!“ Der Satz war wie ein Mantra, das mein Zirkusleben tagsüber unterbrochen und nachts bis in den Schlaf begleitete und mir die herausragende Magie des „Langen Christian“ in Kampen ins Herz brannte, mit der der Zauber eines Zirkus’ nicht konkurrieren kann.
 

© Imke Wein
  • „Ja“-Wort auf dem Leuchtturm unter besonderen Bedingungen.

„Ja-Wort" für die Ewigkeit

Meinen Zirkusdirektor habe ich im Mai 2014 auf dem Hörnumer Leuchtturm geheiratet. Wir lebten damals mit dem Jugendzirkus-Projekt zehn Monate in Hamburg und zwei auf Sylt. Der Direktor war damals schwer krank. Todkrank, um genau zu sein. Als Hochzeitslocation erschien uns der Hörnumer Leuchtturm daher mit seiner Symbolkraft ideal. Er, die Kinder und ich waren an diesem taghellen Maienabend sehr ausgelassen, wir lebten stets mit der Endlichkeit unseres Glücks, nicht gegen sie. Die Standesbeamtin hatte wohl gerade erst von den besonderen Umständen erfahren und war so berührt, dass sie in dem kleinen runden Raum in der zigsten Etage im Bauch des Leuchtturms um Fassung rang. Es war ein Ja-Wort unter Tränen. In diesem Fall nicht die der kleinen Hochzeitsgesellschaft. Ein tragischer und gleichzeitig wunderschöner Moment. Ein großes Fest gab es nicht. Wir mussten schnell wieder los: Unsere Tochter schrieb am nächsten Morgen ihr Abitur in Hamburg. Das Festessen nahmen wir in der Burgerschmiede in Risum-Lindholm ein. Den Award für eine der schrägsten Leuchtturm-Hochzeiten hätten wir auf jeden Fall verdient.

 

 

Mitarbeiter:innen dieser Ausgabe